Absturzgefahr auf Bühnen: Richtlinien, Mythen und die richtige Umsetzung

23.06.2024

Geschätzte Lesezeit für den Text beträgt etwa 2 Minuten und 30 Sekunden.

Der Schutz gegen Absturz ist ein äußerst wichtiges Thema, das nicht nur Baustellen betrifft, sondern auch Künstler, Darsteller und Techniker, insbesondere auf Bühnen.

Gerade in der aktuellen Festivalsaison beobachte ich besorgniserregend oft Fotos großer Künstler auf Bühnen und Laufstegen, bei denen nicht einmal die Bühnenkante gekennzeichnet ist. Ob es sich um Tages- oder Abendveranstaltungen handelt, spielt dabei keine Rolle.

Einige Dienstleister handeln vorbildlich und kleben die Bühnenkante ab, um die Sicherheit zu gewährleisten. Doch damit ist das Thema keineswegs erledigt. Es herrscht ein weitverbreiteter Mythos in Bezug auf die Absturzgefahr auf Bühnen, der näher betrachtet und erklärt werden muss. Die DGUV Vorschrift 17/18 gibt in Kombination mit der DGUV Regel 115-002 klare Richtlinien vor.

Bühnenlaufsteg mit markierter Absturzkante als Best practice Beispiel

Gemäß der DGUV Vorschrift 17/18 müssen an Arbeitsplätzen, Szenenflächen, Verkehrswegen und Zugängen, die an Gefahrenbereiche grenzen oder höher als 1 m über angrenzenden Flächen liegen, wirksame Einrichtungen gegen Abstürze von Personen vorhanden sein. Häufig führe ich Diskussionen darüber, ob unterhalb der 1-m-Marke Maßnahmen erforderlich sind. Die Frage stellt sich, ob unter 1 m Höhe keine Gefährdung für Personen zu erwarten ist und vor allem, wer dies dokumentiert, wenn keine Maßnahmen unterhalb der 1-m-Marke ergriffen werden.

Zur Aufklärung, ob unterhalb der 1-m-Marke Maßnahmen erforderlich sind, präzisiert die DGUV Regel 115-002, dass eine Gefährdung durch Absturz erst bei einer Höhe von mehr als 1 m vorliegt. Bei geringeren Höhenunterschieden ist im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung festzustellen, ob und welche Schutzmaßnahmen erforderlich sind.

Generell gilt: Es reicht nicht aus, einfach nur die Kanten abzukleben. Die DGUV Vorschrift 17/18 fordert, wenn aus zwingenden szenischen Gründen keine Geländer realisiert werden können, alternativ Einrichtungen zum Auffangen von Personen, wie beispielsweise Lifeline-Systeme oder Netze, einzusetzen. Ist dies aus zwingenden szenischen Gründen nicht möglich, muss die Absturzkante deutlich gekennzeichnet sein und in allen Beleuchtungsverhältnissen erkennbar bleiben. Hier ist eine klare Rangfolge vorgegeben.

Die Entscheidung, eine Bühne abzukleben, ist mehrschichtig und muss zwingend aufgrund der Rangfolge und einer zwingenden szenischen Begründung erfolgen. Dies gilt es zu dokumentieren.

Anhand eines praktischen Beispiels: Eine Bühne mit 1 m Höhe und Publikum vor der Bühne. Auf der Vorderseite kann kein Geländer realisiert werden, da dies die szenische Darstellung beeinträchtigen und die Sicht des Publikums behindern würde. Punkt 1: Verzicht auf Geländer aus zwingenden szenischen Gründen. Ein Netz oder ein Lifeline-System müssen jetzt in die Bewertung einfließen. Kommt man zum Ergebnis, dass dies nicht möglich ist, sind wir erst bei der letzten Möglichkeit: Die Bühnenkante muss gekennzeichnet werden, sodass sie unter allen Beleuchtungssituationen sichtbar ist. Dies war das Beispiel ausschließlich für die Vorderseite. Die Rückseite und die Seiten (orange gekennzeichnet) sind in dieser Begründung nicht eingeschlossen. Hier sollte nicht einfach pauschal gekennzeichnet werden. Man muss zu dem Ergebnis kommen, dass an drei Seiten eine technische Maßnahme (ein Geländer) bevorzugt werden muss; eine Argumentation oder Bewertung in eine andere Richtung ist kaum bis gar nicht tragbar in diesem Beispiel.

Das Ignorieren der Vorgaben und Rangfolge der DGUV (1. Absturzsicherung durch feste Maßnahmen, 2. Auffangeinrichtung, 3. Kenntlichmachen und Unterweisen) sowie des sogenannten STOP-Prinzips (S=Substitution, T=technische, O=organisatorische, P=personenbezogene Schutzausrüstung) ist fahrlässig. Keine Maßnahme zu treffen kann im schlimmsten Fall als Vorsatz gewertet werden.

Selbst wenn die Absturzkante kenntlich gemacht wird, genügt dies nicht allein. Gemäß DGUV müssen an Durchgängen in Schutzvorhängen und bei Vorbühnenauftritten Warnschilder auf die Absturzgefahr hinweisen. Die Umsetzung dieses Hinweises kann beispielsweise mit einer Bühnenbetriebsanweisung erfolgen, die Künstler, Darsteller und Techniker über die Gefahren informiert und in verständlicher Sprache verfasst ist. Diese kann dann als Grundlage für die Unterweisung verwendet werden.

Betriebsanweisung Bühne